In Dölzig steht die Zeit still. Zumindest die an der Kirchturmuhr. Kurz nach dreiviertel sieben zeigt sie an, dabei ist es schon viertel zwölf. Die Kirche als ersten Fixpunkt anzusteuern, ist immer hilfreich, da findet sich das Auto wieder, egal wohin es einen geweht hat.
Direkt an dem umgebenden Friedhof schließt sich die Paul-Wäge-Grundschule an, ein schöner alter Bau, der allerdings nicht abgebildet werden möchte. Ein Schild mit durchgestrichenem Fotoapperat pappt direkt an der Front. Warum?
Und wieder einmal rätsel ich, was sich die damaligen Bauherren dabei dachten, Kinder direkt neben Gräbern zu platzieren. Wollten sie dem damaligen Pfarrer einen kurzen Arbeitsweg bescheren? Kleine Träumer auf den kalten Boden der Tatsachen zurückholen?
Irgendwie ist die Anordnung deprimierend, auch wenn das in anderen Orten ebenso so gehandhabt wurde.
Es ist ein grauer Dezembertag, vereinzelt liegen noch Schneeflecken auf Dächern und im Gras. Eisregen ist gemeldet. Ziemlich frostig ist es jetzt schon- besser in Bewegung bleiben. Ich erkundige mich bei einer älteren Frau, die eben aus dem Bus gestiegen ist, nach dem Ortskern. Misstrauisch blickt sie mich an: „Was wollen Sie denn da?“ Die Frage höre ich immer wieder und ich wundere mich, was in diesem Moment in den Köpfen der Menschen vorgeht. Sofort wird mir mehr oder weniger unterstellt, ich wöllte und könnte irgendwelchen Schaden anrichten.
Oder sind sie es in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr gewohnt auf der Straße nach dem Weg gefragt zu werden? Tatsächlich wäre es einfacher gewesen, google maps zu aktivieren, aber mein Akku ist schwach und ich brauche den letzten Saft für Fotos. Dieser Abstecher war schließlich nicht geplant. „Einen Kaffee trinken“, sage ich und die Antwort scheint sie zu beruhigen. Sie schickt mich zu einer nahegelegenen Pension, die gleichzeitig auch Gaststätte ist. „Und gibt es hier Geschäfte?“ Bisher hatte ich keine entdecken können. „Sie sehen doch selbst“, sagt die Frau und deutet auf ihre prall gefüllten Einkaufstüten, „hier gibt es nichts." „Nicht einmal einen Bäcker?“ hake ich nach. Sie schüttelt den Kopf. Für Lebensmittel und alles andere ist das nicht allzu weit entfernte Löwencenter in Rückmarsdorf Anlaufstelle.
Aber was ist, wenn die Frau irgendwann mal nicht mehr Bus fahren kann? Bleiben noch die Lieferdienste.
Weit aus früher als gedacht, nämlich jetzt, beginnt es zu regnen und ich flüchte mich zur „Pension Graf“. Doch leider ist dort alles dunkel. Ich finde weder die Öffnungszeiten, noch eine Speisekarte. Ein Leuchtschild informiert mich lediglich darüber, dass sämtliche freie Zimmer belegt sind. Schade, kein Kaffee für mich. Aber zumindest habe ich kurzzeitig ein (Garagen-)Dach über dem Kopf.
Als der Regen nachlässt, lass ich mich einfach treiben. Immer der Nase nach. Ein Stück den „Langer Weg“ entlang, vorbei an Einfamilienhäusern und knorrigen alten Bäumen. Da tauchen plötzlich Mühlenflügel hinter den Dächern hervor – die Bockwindmühle. Leider ist sie in Privatbesitz, so richtig nahe kommt man nicht an sie heran.
Später kreuze ich die Paul-Wäge-Straße und laufe nördlich Richtung Damm, hinter dem sich der Saale-Leipzig-Kanal verbirgt. Ich kann ihn schon von weitem sehen. Hin schaffe ich es allerdings nicht mehr, wieder beginnt es zu regnen, stärker diesmal und ich beschließe, den Rückzug anzutreten. Ich werde wohl noch einmal wiederkommen müssen.
Als ich ins Auto einsteige, läuten die Kirchturmglocken zur zwölften Stunde.
Kurz nach dreiviertel sieben.
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